Social Media in der Politik So viel TikTok wie noch nie im Bundestag
Stand: 04.11.2025 16:22 Uhr
TikTok ist einer der wichtigsten Kanäle für die politische Kommunikation geworden. Zwei Drittel aller Parlamentarier haben einen Account. Engagement, das sich lohnt.
„So viel TikTok wie im Herbst 2025 war noch nie im Deutschen Bundestag und damit in der Bundespolitik“, sagt Martin Fuchs. Der Politikberater und Medienwissenschaftler hat sich alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag angeschaut und deren TikTok-Aktivitäten wissenschaftlich ausgewertet. „Insgesamt haben 423 MdB einen Account. 77 Prozent der Politiker mit TikTok-Account sind aktiv. TikTok ist damit einer der wichtigsten Kanäle für die politische Kommunikation geworden.“
Bei TikTok werden Themen gesetzt, Stimmungen erzeugt und Politiker können Millionen Menschen sehr schnell erreichen. Die Unterschiede der Nutzung nach Bundesland und Fraktion sind teilweise massiv. „Ostdeutsche MdB sind auf TikTok überrepräsentiert, wenn man ihre Verteilung nach Mandaten im Verhältnis ostdeutscher Politiker:innen im Bundestag setzt“, sagt Martin Fuchs.
AfD und Linke besonders aktiv
Politiker der AfD und der Linken gehörten seit vielen Jahren zu den aktivsten TikTokern, so Fuchs. Bei der AfD sind es 76 Prozent aller Fraktionsmitglieder, die aktiv TikTok nutzen. Bei den Linken sind es 75 Prozent, 56 Prozent bei den Grünen. Die SPD liegt bei 45 Prozent und die Union bei 28 Prozent.
„CDU und SPD haben zuletzt Wahlen immer in den alten Zielgruppen gemacht, deshalb machen sie vor allem Politik und dann natürlich auch Kommunikation für ältere Zielgruppen“, sagt der Politikberater.
Keine Selbstdarstellung bei TikTok
„Unsere Demokratie lebt vom Austausch über Generationen und gesellschaftliche Gruppen hinweg“, sagt Christina Stumpp. Die 37-Jährige ist CDU-Vize-Generalsekretärin und bei TikTok. „Die junge Generation ist über die klassischen Informationskanäle so gut wie gar nicht mehr zu erreichen. Wenn wir sie für Politik begeistern wollen, müssen wir dorthin gehen, wo sie unterwegs ist.“
Wichtig sei der CDU-Politikerin dabei vor allem, keine Selbstdarstellung bei TikTok zu betreiben, sondern Politik anschaulich zu erklären und mit den Nutzern in den Austausch zu treten.
Für Stumpp ist die Plattform wichtig im Alltag. „Gute politische Inhalte auf TikTok müssen verständlich, klar und nah an den Nutzern sein. Nicht perfekt produziert, sondern ehrlich und nachvollziehbar“, sagt sie.
Authentisch und auf Augenhöhe
„Es geht darum, Zusammenhänge einfach zu erklären und dabei auf Augenhöhe mit den Menschen und authentisch zu sein“, sagt auch Heidi Reichinnek. Die Videos der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag bei TikTok erhalten teils sechs oder sieben Millionen Aufrufe.
„Ich poste vor allem zu Themen, die die Menschen bewegen: Mieten, Gesundheit, gerechte Löhne und Renten und der Widerstand gegen den Rechtsruck.“ Reichinnek war eine der ersten Politikerinnen, die TikTok kontinuierlich nutzten. „Das darf gerne auch polemisch oder witzig sein, aber es geht mir auch immer darum, klar Probleme zu benennen und Lösungen anzubieten.“
„Ich will die berechtigte Wut der Menschen aufgreifen, aber sie dann in etwas Positives kanalisieren. Wir wollen Hoffnung organisieren – auch auf TikTok“, sagt die Linken-Politikerin. Auch die sozialen Medien seien eine Möglichkeit, mit Menschen in direkten Kontakt zu treten. Genauso wie der Infostand oder der Haustür-Wahlkampf.
Nachwachsende Generationen bei TikTok
„Dort erreicht man die für die Demokratie relevanten nachwachsenden Generationen am besten und TikTok ist der Standard, wie sich Social Media seit einigen Jahren auch auf anderen Plattformen entwickelt“, sagt Politikberater Fuchs.
Das kommunikative Engagement bei TikTok lohne sich. Entscheidend sei, Ressourcen für einen Auftritt zu schaffen und gewillt zu sein, für die Zielgruppe und deren Themen zu kommunizieren. „Dazu gehört eine plattformgerechte Produktion, die emotionale Aufbereitung, eine kontinuierliche Veröffentlichung und ein klarer Fokus auf die Zielgruppe, die in den Videos ernst genommen werden muss.“
Demokratie fördern oder beschädigen?
Politische Kommunikation im Kurzvideo könne demokratiefördernd sein, „sie aber durch Polarisierung und Zuspitzung beschädigen“, so Martin Fuchs. Social Media verändere seit Jahren sichtbar, wie Politik gemacht und wie debattiert wird.
Auch wie Politik kommuniziert wird, teilweise mit fragwürdigen Dynamiken wie Empörungsindustrie und Inszenierung. „Es kommt zu Reden, die nicht mehr für das Parlament, sondern für Kurzvideoverwertung geschrieben werden“, sagt Fuchs. Er nennt auch die AfD, die immer wieder zugespitzte Inhalte hochlädt.
Zuspitzung für den Algorithmus
Beispiel Alice Weidel. „Wer arbeitet, ist der Dumme“, ruft die AfD-Politikerin in das Mikrofon am Rednerpult. So zeigt es ein Ausschnitt ihrer Rede im Bundestag auf der Plattform – Millionen Menschen erreicht das Video.
„Der Algorithmus belohnt Zuspitzung“, sagt auch CDU-Politikerin Christina Stumpp. „Vereinfachte Darstellungen oder Fake News verbreiten sich dadurch besonders schnell. Aber Politik ist selten so einfach, wie es ein kurzer Clip vorgibt. Entscheidend ist deshalb, die Mechanismen der Plattform zu verstehen und gezielt zu nutzen, ohne die sachliche Debatte zu verlassen.“










