Nullgradgrenze wandert nach oben Hat Skifahren in den Alpen noch eine Zukunft?
Stand: 29.12.2025 06:00 Uhr
Eine exklusive Analyse von BR Data zeigt, wie stark sich die Nullgradgrenze in den Alpen nach oben verschiebt. Das verschärft die Lage für die Skigebiete, wo jetzt schon vielerorts nur noch Beschneiung den Betrieb sichert.
Von Constanze Bayer und Simon Wörz, BR
Während viele Berge in den Alpen im Winter aktuell eher grün-braun als weiß sind, ziehen im österreichischen Sölden schon seit Mitte November Skifahrer ihre Spuren durch den Schnee. Die Talstationen in dem Tiroler Skigebiet liegen auf gut 1.300 Metern, die Bergstationen am Gletscher auf über 3.000 Metern. In solchen Höhen sind die Temperaturen immer frostig und Abfahrten wurden früh beschneit.
„Aus diesem Grund habe ich keine Angst, dass ich auch in meinem Rentenalter bei uns noch Skifahren kann“, sagt Philipp Falkner, Seilbahnchef des Skigebiets. Die Höhenlage der Pisten in Sölden ist ein klarer Standortvorteil – und in den kommenden Jahrzehnten wohl ein entscheidender.
Alpen besonders vom Klimawandel betroffen
Der Klimawandel ist in den Alpen besonders deutlich spürbar: Die Temperaturen steigen hier schneller als im globalen Durchschnitt, Naturschnee wird weniger. Eine exklusive Datenanalyse von BR Data zeigt nun, wie stark sich die Nullgradgrenze im Winter nach oben verschiebt – und was das für das Skifahren bedeutet.
BR Data hat auf Basis von Klimaprojektionen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) berechnet, wie sich die durchschnittliche winterliche Nullgradgrenze verändert. Zwischen 1961 und 1990 lag sie in den Alpen bei rund 1.100 Metern. Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad steigt sie auf etwa 1.500 Meter, bei drei Grad sogar auf rund 1.700 Meter. Je nach Emissionsentwicklung wird diese Erwärmung zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erreicht. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts auf eine Erwärmung von 2,8 Grad zusteuert.
Immer mehr Pisten liegen unter der Nullgradgrenze
In Österreichs Skigebieten wird bei einer Drei-Grad-Erwärmung voraussichtlich etwa die Hälfte der Pisten unterhalb der Nullgradgrenze liegen. In Sölden hingegen sieht es anders aus: Fast 90 Prozent der Pistenkilometer liegen auch in kommenden Jahrzehnten über der Nullgradgrenze. „Durch die Höhenlage sind wir sehr, sehr gut aufgestellt und haben da sicherlich einen Wettbewerbsvorteil“, sagt Seilbahnchef Philipp Falkner. Ein Vorteil, den man künftig noch stärker nutzen wolle.
Für die deutschen Skigebiete in den Alpen sind die Folgen gravierender: In den kommenden Jahrzehnten werden bei einem Drei-Grad-Szenario nur noch etwa zehn Prozent der Skipisten oberhalb der Nullgradgrenze liegen.
Künstliche Beschneiung als Ausweg?
Harald Kunstmann, Professor am Campus Alpin des KIT in Garmisch-Partenkirchen, bezeichnet die Nullgradgrenze als aussagekräftige Kennzahl für den Klimawandel in den Alpen. Sie mache langfristige Veränderungen deutlich – gerade für die Frage, wie sich Schneesicherheit und Rentabilität von Investitionen in Skigebieten künftig entwickeln, sei dieser langfristige Blick mitentscheidend.
Die Nullgradgrenze ist ein Durchschnittswert. Kunstmann betont: Für die technische Beschneiung reichen einzelne kalte Tage oder Nächte aus. „Dann kann ausreichend Schnee produziert werden, allerdings mit hohem Energie- und Wassereinsatz“, sagt der Hydrologe und Klimatologe.
Auch im Skigebiet Fellhorn-Kanzelwand, dem größten im Allgäu, setzen die Betreiber weiter auf kalte Nächte oder Tage zur Beschneiung. „Das ist für uns in der Hauptsaison wirklich die Lebensversicherung, dass wann immer der Gast zu uns kommt, er darauf vertrauen kann, dass er Ski fahren kann“, sagt Henrik Volpert, Vorstand der Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalsertal.
Zeitfenster für Beschneiung werden kleiner
Für eine effiziente technische Beschneiung benötige man heute etwa 70 bis 80 Stunden niedrige Temperaturen, um ausreichend Schnee zu produzieren, sagt Volpert. In diesem Winter half ein Kälteeinbruch Ende November den Skigebieten, bereits früh mit der Beschneiung zu beginnen. Auch im Oberallgäu profitieren die Liftbetreiber noch von den damals erzeugten Schneemengen, insbesondere angesichts des vorweihnachtlichen Tauwetters.
Experten gehen davon aus, dass Skigebiete im Schnitt rund 100 gute Skitage pro Winter benötigen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Manche kommen auch mit weniger aus, entscheidend ist dabei vor allem das Weihnachtsgeschäft: Fällt es aus, lässt sich die Saison kaum noch retten.
Mit Blick auf die künftige Klimaerwärmung erklärt Bergbahnen-Chef Henrik Volpert, dass das Skigebiet Fellhorn-Kanzelwand als Ganzjahresanbieter mit Wander- und Freizeitmöglichkeiten erfolgreich sein müsse. Gleichzeitig investiere man in moderne Beschneiungstechnik, die deutlich effizienter arbeite.
Technisch möglich, aber bald wirtschaftlich fraglich?
Kritik kommt von Umweltverbänden. In vielen Entscheidungen werde nach wie vor die wirtschaftliche Seite höher gewichtet als ökologische Folgen, sagt Axel Doering, Präsident der Alpenschutzkommission CIPRA: „Das fällt uns heute schon auf die Füße und die Klimakrise ist auch eine Folge dieser Verhaltensweisen.“
Doch selbst wenn Schnee technisch erzeugt werden kann, stößt das Modell zunehmend an Grenzen. „Die technische Machbarkeit ist etwas anderes als die ökonomische Machbarkeit“, sagt Robert Steiger vom Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck. Sehr wahrscheinlich würden Skigebiete zuerst an wirtschaftliche Grenzen stoßen – lange bevor es unmöglich werde, Pisten mit technisch erzeugtem Schnee zu präparieren.










