Deutschland: Vom Schmuggelgut zur Top-Rebe

Deutschland Vom Schmuggelgut zur Top-Rebe

Hagnau · Die Bodensee-Region feiert 100 Jahre Anbau der Müller-Thurgau-Rebe. Dabei stand am Anfang eine waghalsige Aktion.

Am nördlichen Bodensee (hier bei Hagnau) reihen sich Weinberge und Weingüter wie Perlen einer Kette aneinander.

Foto: Christine Zacharias

Selten wohl hat eine beliebte Weinsorte auf solch spektakuläre Weise Verbreitung gefunden. In der Tat klingt es fast wie eine Kriminalgeschichte, was sich da in einer Nacht im April 1925 am Bodensee abgespielt hat: Heimlich lassen zwei Männer bei Immenstaad ein Boot zu Wasser und rudern zur schweizerischen Seite des Sees. Das war nicht nur weit und gefährlich, sondern die Mission eigentlich auch streng verboten. Der Bauer und Winzer Albert Röhrenbach und sein Freund, der Fischer Gottfried Ainser, wollten nämlich Setzlinge des Müller-Thurgau-Weines von der Schweizer Seite in heimische Gefilde holen. Die Einführung von fremdem Saatgut ins Deutsche Reich war damals jedoch streng untersagt.

Röhrenbach wollte es aber trotzdem unbedingt wagen, und das mit gutem Grund: In den 1920er-Jahren war es nämlich um den Wein an der deutschen Seite des „Schwäbischen Meeres“ nicht gut bestellt. Es gab viele Missernten, und die vorherrschende Rebsorte, der Elbling, stellte keinen sonderlichen Genuss dar, sondern war eher ziemlich sauer. Die Sorte Müller-Thurgau der Schweizer hingegen hatte sich für den speziellen Boden am Bodensee längst als ideal erwiesen. Gezüchtet hatte diese bereits 1882 der Schweizer Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau – daher der Name.

„Mein Urgroßvater Albert Röhrenbach hatte durch Freunde mit Kontakten auf die andere Seeseite davon gehört, wie gut dieser Wein mundet und gleichzeitig hier gedeiht, und war seither nicht mehr davon abzubringen, die Rebe herzuholen“, berichtet Rebecca Röhrenbach, die Urenkelin des wagemutigen Schmugglers von vor 100 Jahren. Röhrenbachs Aktion (er hatte die Setzlinge übrigens am Schweizer Arenenberg käuflich korrekt erworben) war vielleicht illegal, aber überaus erfolgreich: „Heute ist der Müller-Thurgau in jedem Weingut hier am Bodensee stark vertreten. Denn er ist einfach ideal für die hiesigen Gegebenheiten“, berichtet Rebecca Röhrenbach. „Die Lagen hier gehören zu den sogenannten „Cold Climate“-Zonen, ähnlich wie etwa in Südtirol. Wir liegen ja auf 400 bis 500 Metern Höhe“, erklärt Röhrenbach. Was bedeutet, dass tagsüber die Lichtintensität hoch ist, es aber nachts empfindlich abkühlen kann. „Und da passt sich der Müller-Thurgau ideal an, denn er ist robust, aber dennoch leicht und verspielt.“

Der Urgroßvater der Winzerin Rebecca Röhrenbachs brachte 1925 den Müller-Thurgau an den deutschen Bodensee.

Foto: Christine Zacharias

Die Tradition ihres Uropas hält Rebecca Röhrenbach übrigens aufrecht: Gemeinsam mit ihrem Vater Matthias betreibt sie in nunmehr vierter Generation das Familien-Weingut in Immenstaad.

Uropa Albert kam übrigens mit einer Verwarnung seines Herrn, des Markgrafen von Baden, davon. Und so geschah es, dass die ersten Setzlinge am Schloss Kirchberg unweit des heutigen Weinguts Röhrenbach angepflanzt wurden, und von dort aus die Erfolgsgeschichte des Müller-Thur­gaus ihren Anfang nahm.

Historische Weinfässer im Keller des Winzervereins Hagnau zeugen von der langen Winzertradition in der Region.

Foto: Christine Zacharias

Wer die spannende Geschichte vom „Rebenschmuggel“ am Bodensee hautnah nacherleben möchte, kann noch bis zum 2. November die Sonderausstellung „100 Jahre Müller-Thurgau am Bodensee“ im Wein-Museum „Vineum Bodensee“ des malerischen historischen Städtchens Meersburg besuchen. Im stimmungsvollen Dachboden-Geschoss des 400 Jahre alten Museumgebäudes wurde eine virtuelle Ausstellung eingerichtet, die die Geschichte auch für junge Besucher spannend nacherzählt. So berichtet etwa ein virtueller Röhrenbach via Leinwand von seiner Nacht- und Nebelaktion, und wird die gefährliche Situation im kleinen Boot auf dem nächtlichen See in einer multimedialen Installation sinnlich erfahrbar. Darüber hinaus taucht der Besucher nicht nur in die Welt der Winzer von damals ein, sondern erfährt auch viel über die Menschen am Bodensee. Wer Zeit hat, sollte sich auch die Dauerausstellung im Vineum ansehen. Auf mehr als 600 Quadratmetern wird dort in anschaulicher Weise die Kultur und Geschichte des Weines allgemein erzählt – inklusive Stationen zum Mitmachen und Ausprobieren. Spektakulär ist die historische und noch funktionstüchtige Weinpresse (Torkel) von 1607 im Eingangsbereich.

Wein wird am Bodensee natürlich schon weit länger als 100 Jahre angebaut. Die Tradition reicht über 2000 Jahre zurück und geht auch hier auf die Römer zurück. Bis heute prägen Weinberge die Landschaft am See. Dabei erstrecken sich allein am nördlichen Ufer rund 600 Hektar Anbaufläche, reihen sich historische und zum Teil ausgesprochen malerische Weingüter wie Perlen an einer Kette aneinander.

Eine besondere Stellung nimmt der Winzerverein Hagnau ein, der 1881 von Heinrich Hansjakob gegründet wurde, und in dem heute rund 50 Mitglieder auf genossenschaftlicher Basis vereint sind. Laut Winzerin Stephanie Megerle, die auch schon badische Weinprinzessin war, werden in Hagnau aktuell rund 40 Prozent Müller-Thurgau, 30 Prozent Spätburgunder sowie ferner noch Grau- und Weißburgunder angebaut. „Fast jede Familie hier im Ort hat eigene Flächen“, meint Megerle. Im historischen Keller von Hagnau, der einst dem Kloster Weingarten gehörte, erzeugt die Genossenschaft heute mit moderner Kellertechnik sortenreine Weine. Im September beginnt in Hagnau und anderswo am Bodensee die Lese.

Wer einen kleinen Anstieg nicht scheut, sollte sich nördlich von Hagnau zur Wilhelms­höhe aufmachen. Oberhalb der Weinreben eröffnet sich dort ein spektakulärer Blick über den Bodensee hin zu den Alpen und bei schönem Wetter sogar bis zum Zugspitzmassiv und den französischen Alpen. Eine Tafel erläutert den Panoramablick, Liegebänke laden zum Verschnaufen ein.

www.hagnauer.de
www.gemeinde-hagnau.de/de/Entdecken/Sehenswertes/
Wilhelmshoehe

Der Bodensee ist aber nicht nur ein Wein-, sondern auch ein Schifffahrts- und Surfer-Paradies. Die Lädine allerdings gehört jedoch sicherlich nicht zu den schnittigen Wassertransportmitteln. Nie gehört? Kein Wunder, denn die hohe Zeit der Lädinen auf dem Bodensee ist längst vorbei. Zwischen dem 14. und 20. Jahrhundert verkehrten diese eher trägen hölzernen Lastensegler auf dem See und transportierten Vieh, Baumaterialien, aber auch Salz, Zucker, Gewürze und natürlich Wein.

Dass man heute in einer detailgetreu nachgebauten Lädine geruhsam übers Schwäbische Meer schippern kann (wo meist eher Schwachwinde vorherrschen), ist dem Lädinen-Verein Bodensee zu verdanken: Auf der St. Jodok können bis zu 60 Personen Platz nehmen. Pächter Benno Lindenkamp bietet verschiedene Routen von Immenstaad, Konstanz oder Langenargen aus an. Und es ist schon ein einmaliges Erlebnis, wenn sich in der Abenddämmerung der Horizont, die nahe Alpen-Silhouette und der See zu einem unglaublichen Farbenspektakel in Blau, Grün und Rosa vereinen.

Related posts

Deutschland Vom Schmuggelgut zur Top-Rebe

Hagnau · Die Bodensee-Region feiert 100 Jahre Anbau der Müller-Thurgau-Rebe. Dabei stand am Anfang eine waghalsige Aktion.

Am nördlichen Bodensee (hier bei Hagnau) reihen sich Weinberge und Weingüter wie Perlen einer Kette aneinander.

Foto: Christine Zacharias

Selten wohl hat eine beliebte Weinsorte auf solch spektakuläre Weise Verbreitung gefunden. In der Tat klingt es fast wie eine Kriminalgeschichte, was sich da in einer Nacht im April 1925 am Bodensee abgespielt hat: Heimlich lassen zwei Männer bei Immenstaad ein Boot zu Wasser und rudern zur schweizerischen Seite des Sees. Das war nicht nur weit und gefährlich, sondern die Mission eigentlich auch streng verboten. Der Bauer und Winzer Albert Röhrenbach und sein Freund, der Fischer Gottfried Ainser, wollten nämlich Setzlinge des Müller-Thurgau-Weines von der Schweizer Seite in heimische Gefilde holen. Die Einführung von fremdem Saatgut ins Deutsche Reich war damals jedoch streng untersagt.

Röhrenbach wollte es aber trotzdem unbedingt wagen, und das mit gutem Grund: In den 1920er-Jahren war es nämlich um den Wein an der deutschen Seite des „Schwäbischen Meeres“ nicht gut bestellt. Es gab viele Missernten, und die vorherrschende Rebsorte, der Elbling, stellte keinen sonderlichen Genuss dar, sondern war eher ziemlich sauer. Die Sorte Müller-Thurgau der Schweizer hingegen hatte sich für den speziellen Boden am Bodensee längst als ideal erwiesen. Gezüchtet hatte diese bereits 1882 der Schweizer Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau – daher der Name.

„Mein Urgroßvater Albert Röhrenbach hatte durch Freunde mit Kontakten auf die andere Seeseite davon gehört, wie gut dieser Wein mundet und gleichzeitig hier gedeiht, und war seither nicht mehr davon abzubringen, die Rebe herzuholen“, berichtet Rebecca Röhrenbach, die Urenkelin des wagemutigen Schmugglers von vor 100 Jahren. Röhrenbachs Aktion (er hatte die Setzlinge übrigens am Schweizer Arenenberg käuflich korrekt erworben) war vielleicht illegal, aber überaus erfolgreich: „Heute ist der Müller-Thurgau in jedem Weingut hier am Bodensee stark vertreten. Denn er ist einfach ideal für die hiesigen Gegebenheiten“, berichtet Rebecca Röhrenbach. „Die Lagen hier gehören zu den sogenannten „Cold Climate“-Zonen, ähnlich wie etwa in Südtirol. Wir liegen ja auf 400 bis 500 Metern Höhe“, erklärt Röhrenbach. Was bedeutet, dass tagsüber die Lichtintensität hoch ist, es aber nachts empfindlich abkühlen kann. „Und da passt sich der Müller-Thurgau ideal an, denn er ist robust, aber dennoch leicht und verspielt.“

Der Urgroßvater der Winzerin Rebecca Röhrenbachs brachte 1925 den Müller-Thurgau an den deutschen Bodensee.

Foto: Christine Zacharias

Die Tradition ihres Uropas hält Rebecca Röhrenbach übrigens aufrecht: Gemeinsam mit ihrem Vater Matthias betreibt sie in nunmehr vierter Generation das Familien-Weingut in Immenstaad.

Uropa Albert kam übrigens mit einer Verwarnung seines Herrn, des Markgrafen von Baden, davon. Und so geschah es, dass die ersten Setzlinge am Schloss Kirchberg unweit des heutigen Weinguts Röhrenbach angepflanzt wurden, und von dort aus die Erfolgsgeschichte des Müller-Thur­gaus ihren Anfang nahm.

Historische Weinfässer im Keller des Winzervereins Hagnau zeugen von der langen Winzertradition in der Region.

Foto: Christine Zacharias

Wer die spannende Geschichte vom „Rebenschmuggel“ am Bodensee hautnah nacherleben möchte, kann noch bis zum 2. November die Sonderausstellung „100 Jahre Müller-Thurgau am Bodensee“ im Wein-Museum „Vineum Bodensee“ des malerischen historischen Städtchens Meersburg besuchen. Im stimmungsvollen Dachboden-Geschoss des 400 Jahre alten Museumgebäudes wurde eine virtuelle Ausstellung eingerichtet, die die Geschichte auch für junge Besucher spannend nacherzählt. So berichtet etwa ein virtueller Röhrenbach via Leinwand von seiner Nacht- und Nebelaktion, und wird die gefährliche Situation im kleinen Boot auf dem nächtlichen See in einer multimedialen Installation sinnlich erfahrbar. Darüber hinaus taucht der Besucher nicht nur in die Welt der Winzer von damals ein, sondern erfährt auch viel über die Menschen am Bodensee. Wer Zeit hat, sollte sich auch die Dauerausstellung im Vineum ansehen. Auf mehr als 600 Quadratmetern wird dort in anschaulicher Weise die Kultur und Geschichte des Weines allgemein erzählt – inklusive Stationen zum Mitmachen und Ausprobieren. Spektakulär ist die historische und noch funktionstüchtige Weinpresse (Torkel) von 1607 im Eingangsbereich.

Wein wird am Bodensee natürlich schon weit länger als 100 Jahre angebaut. Die Tradition reicht über 2000 Jahre zurück und geht auch hier auf die Römer zurück. Bis heute prägen Weinberge die Landschaft am See. Dabei erstrecken sich allein am nördlichen Ufer rund 600 Hektar Anbaufläche, reihen sich historische und zum Teil ausgesprochen malerische Weingüter wie Perlen an einer Kette aneinander.

Eine besondere Stellung nimmt der Winzerverein Hagnau ein, der 1881 von Heinrich Hansjakob gegründet wurde, und in dem heute rund 50 Mitglieder auf genossenschaftlicher Basis vereint sind. Laut Winzerin Stephanie Megerle, die auch schon badische Weinprinzessin war, werden in Hagnau aktuell rund 40 Prozent Müller-Thurgau, 30 Prozent Spätburgunder sowie ferner noch Grau- und Weißburgunder angebaut. „Fast jede Familie hier im Ort hat eigene Flächen“, meint Megerle. Im historischen Keller von Hagnau, der einst dem Kloster Weingarten gehörte, erzeugt die Genossenschaft heute mit moderner Kellertechnik sortenreine Weine. Im September beginnt in Hagnau und anderswo am Bodensee die Lese.

Wer einen kleinen Anstieg nicht scheut, sollte sich nördlich von Hagnau zur Wilhelms­höhe aufmachen. Oberhalb der Weinreben eröffnet sich dort ein spektakulärer Blick über den Bodensee hin zu den Alpen und bei schönem Wetter sogar bis zum Zugspitzmassiv und den französischen Alpen. Eine Tafel erläutert den Panoramablick, Liegebänke laden zum Verschnaufen ein.

www.hagnauer.de
www.gemeinde-hagnau.de/de/Entdecken/Sehenswertes/
Wilhelmshoehe

Der Bodensee ist aber nicht nur ein Wein-, sondern auch ein Schifffahrts- und Surfer-Paradies. Die Lädine allerdings gehört jedoch sicherlich nicht zu den schnittigen Wassertransportmitteln. Nie gehört? Kein Wunder, denn die hohe Zeit der Lädinen auf dem Bodensee ist längst vorbei. Zwischen dem 14. und 20. Jahrhundert verkehrten diese eher trägen hölzernen Lastensegler auf dem See und transportierten Vieh, Baumaterialien, aber auch Salz, Zucker, Gewürze und natürlich Wein.

Dass man heute in einer detailgetreu nachgebauten Lädine geruhsam übers Schwäbische Meer schippern kann (wo meist eher Schwachwinde vorherrschen), ist dem Lädinen-Verein Bodensee zu verdanken: Auf der St. Jodok können bis zu 60 Personen Platz nehmen. Pächter Benno Lindenkamp bietet verschiedene Routen von Immenstaad, Konstanz oder Langenargen aus an. Und es ist schon ein einmaliges Erlebnis, wenn sich in der Abenddämmerung der Horizont, die nahe Alpen-Silhouette und der See zu einem unglaublichen Farbenspektakel in Blau, Grün und Rosa vereinen.

Next Post

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

RECOMMENDED NEWS

BROWSE BY CATEGORIES

Welcome Back!

Login to your account below

Create New Account!

Fill the forms below to register

Retrieve your password

Please enter your username or email address to reset your password.