Frankreich: Verrückte Kunst in der grünen Stadt am Wasser

Frankreich Verrückte Kunst in der grünen Stadt am Wasser

Nantes · Nantes ist das Tor zur Bretagne, die Geburtsstadt von Jules Vernes und eine Kunst- und Kulturmetropole mit ganz besonderer Industriekultur. Bestechend ist die innovative, nachhaltige Stadtplanung. Die hohe Lebensqualität zieht Touristen und junge Franzosen gleichermaßen an.

Es ist schattig unterm Kirschbaum. Ein laues Lüftchen lässt den Klatschmohn wehen. Ein junges Paar hat es sich mit Baguette und Käse an einer Holz-Tischgruppe gemütlich gemacht. Eine Gruppe Radfahrer radelt zügig vorbei. Wir sind hier keineswegs irgendwo auf dem Land, sondern mitten in der Innenstadt von Nantes. 20 Meter weiter fährt die Tram ab. Gegenüber trutzt die massive Burgmauer rund um das beeindruckende Renaissance-Schloss der Herzöge der Bretagne mit seinen filigranen Stuck-Ornamenten, das auch das sehenswerte Stadtmuseum beherbergt. Auf der Wehrmauer kann man einmal um den Komplex spazieren. Umsonst. Wie so vieles in der Stadt. Im Festungsgraben chillen Leute, und es grasen Schafe auf wilden Wiesen. Die umliegenden Creperien und Restaurants in den Gassen der Altstadt sind voll. Dieser Ort ist quirlig, lebendig und doch unaufgeregt. Eine spannende Mischung aus Lebenslust, Gelassenheit, Kunst und Kultur.

Müsste man eine Farbe für Nantes auswählen, so wäre es ein kräftiges Grün. Kombiniert mit maritimem Blau für diese ehemals wichtige französische Hafen-Stadt am südlichsten Zipfel der Bretagne im geschützten Mündungsdelta der Loire, die 70 Kilometer weiter bei St. Nazaire in den Atlantik fließt. Für Touristen und sicher auch für die Einheimischen ist beides sehr attraktiv: einerseits die grüne, autoarme, fahrradfreundliche Innenstadt mit ihren vielen Parks und Grünflächen, durchzogen von einer „Ligne Verte“, einer „grünen Linie“, entlang der man auf über 20 Kilometern Länge quer durch die Stadt dutzende Kunstwerke im öffentlichen Raum entdecken kann.

Das maritime „blaue Erbe“ andererseits, eng verbunden mit Nantes‘ Bedeutung als Handels-,Schiffsbau- und Industriestadt, erläuft man sich am besten bei einem Besuch der „Ile de Nantes“, einer Insel, die einst der industrielle Kern der Stadt war. Nachdem dort 1987 die letzten großen Werften schließen mussten und auch die Fischerei-Konservenindustrie abwanderte, mussten sich die Nanteser neu erfinden. In dieser klassischen Hochburg der Industrie-Arbeiterschaft gelang seit den 1990er-Jahren ein bemerkenswerter Strukturwandel, der die Stadt so einzigartig macht. Eng verbunden ist diese Transformation mit dem Namen des damaligen sozialistischen Bürgermeisters Jean-Marc Ayrault. Er hatte eine nachhaltige Vision von seiner Stadt, trieb den Umbau der Industriebrachen auf der Insel zu Kultur- und Kunstorten ehrgeizig voran.

Heute geht es der Stadt (330.000 Einwohner, 700.000 in der ganzen Metropole) wieder sehr gut, es herrscht fast Vollbeschäftigung, Ingenieurs­kunst (zum Beispiel Airbus) hat die Werften ersetzt. Geld verdient wird mit dem See­verkehr, digitalen Industrien und in der Kreativ- und Kulturbranche. Nantes ist eine junge, dynamische Stadt und bei Touristen wie Franzosen, die gerne auch aus dem teuren und engen Paris zuziehen, zunehmend beliebt.

Erst entstand auf der Ile de Nantes 2005 das monumentale Justizministerium „Palais de Justice“ von Star-Architekt Jean Nouvel, dann lud man weitere renommierte Architekten und Künstler wie Daniel Buren, Erwin Wurm oder Jean Prouvé ein, nicht nur die Insel umzubauen und künstlerisch zu gestalten, sondern sie für Besucher und Einheimische gleichermaßen zu erschließen. Und zwar nachhaltig, unter Einbeziehung der Industrieruinen und der Natur. Damit war Nantes vor 20 Jahren bereits seiner Zeit voraus. Man stößt auf nachhaltiges Bauen überall in der Stadt und auf dem ehemaligen Werftgelände.

Dort findet man heute zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum, Universitätsgebäude, benutzbare und begehbare Kunstwerke, aber auch Bars, Restaurants und Clubs. Wer günstig und gut essen will, sollte die „Cantine de Voyage“ am „Quai de bananes“ besuchen. Wahrscheinlich trifft man auf dem Weg dorthin auf ein Wesen, das Nantes die Auszeichung „Stadt mit der originellsten Attraktion“ eingebracht hat: „Le grand Elephant“. Man hört diesen gigantischen, motorisierten Elefanten aus Stahl schon von Weitem. Und wenn diese zwölf Meter hohe Riesen-Maschine dann gemächlich um die Ecke im „Parc des Chantiers“ biegt, traut man kaum seinen Augen und geht in Deckung, weil der Riese, gesteuert von einem Maschinisten, Wasser aus seinem Rüssel verspüht. In der Geburtsstadt von Jules Verne ist eben alles möglich. Auch eine solche Elefanten-Maschine, auf der man mitfahren (oder reiten?) kann. Weitere verrückte Metall-Tiere zeigt die „Galerie des Machines“. Man kann dort Hebel selbst in Bewegung setzen, eine Riesenspinne oder einen Metall-Vogel steuern. Magisch-nostalgisch ist eine Fahrt im „Carrousel des Mondes Marins“ auf einem der fantastischen Wesen, wie sie 20.000 Meilen unter dem Meer womöglich schon von Jules Vernes gesichtet wurden.

Lohnend sind Abstecher ins Umland: in die umliegenden Weinberge, wo die Rebsorte „Melon de Bourgogne“ wächst, aus der die Muscadet-Weißweine gemacht werden. Im Schlösschen „La Frémoire“ zum Beispiel stellt der Nanteser Weinverband ausgezeichnete Weine der Region vor. Besonders viel Spaß macht das, wenn die Präsidentin der jungen Winzer, Mathilde Chatellier, sie präsentiert. Und dazu noch ein leckeres Essen serviert wird.

Gut kombinierbar ist dieser Ausflug in den Wein mit dem Kunst-Parcours entlang des „Estuaire Nantes-St. Nazaire“: Im Mündungsgebiet der Loire entstanden zwischen 2011 und 2021 mehr als 30 große Kunst-Installationen, die man sich mit dem Auto, per Schiff oder auch mit dem Fahrrad, erschließen kann. Spektakulär: Erwin Wurms Boot-In­stallation, die eine Schleuse in die Freiheit überspringt. Oder das riesige Stahl-Skelett einer See-Schlange des chinesischen Künstlers Huang Yong Ping am Strand vor St. Nazaire.

Viele Jahrhunderte zurück reicht die Geschichte Nantes als bedeutende Hafen- und Handelsstadt. Dort hat man sich dazu entschlossen, auch die dunklen Kapitel der Metropole nicht auszublenden. Als Umschlagplatz für Waren aus der Karibik wurde Nantes im 17. und 18. Jahrhundert reich. Ohne den grausamen Handel mit afrikanischen Sklaven wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Die Schiffe starteten im Hafen von Nantes mit Waren zum Tausch gegen afrikanische Sklaven, die wiederum in der Karibik gegen Zucker, Tabak und Baumwolle verkauft wurden. Auf der Uferpromenade entstand 2012 das größte Mahnmal für die Millionen von afrikanischen Sklaven, die im Laufe von 200 Jahren nach Frankreich und in die Kolonien verschleppt wurden. Allein von Nantes aus segelten über 1800 Transportschiffe. Die Namen der Schiffe sind auf einer Strecke von anderthalb Kilometer in den Boden eingelassen. Die versklavten Menschen, die sie transportierten, bleiben hingegen namenlos.

Nantes ist wirklich eine Reise wert. Die Stadt ist zwar Verwaltungshauptstadt des „Pays de la Loire“. Die berühmten Schlösser der Loire – Chenonceau oder Chambord – sind nicht weit. Dennoch versteht man sich auch als Tor zur Bretagne. Die bretonische Sprache wird sehr gepflegt. Und schließlich ist Nantes die Geburts- und Residenzstadt der berühmten Anne de Bretagne (1477-1514), die gleich zweimal französische Königin war und als letzte Regentin der Bretagne lange für die Unabhängigkeit von Frankreich kämpfte. Annes Herz ist auch heute noch in Nantes begraben.

Die Reise wurde von „Le Voyage à Nantes“ unterstützt.

Related posts

Frankreich Verrückte Kunst in der grünen Stadt am Wasser

Nantes · Nantes ist das Tor zur Bretagne, die Geburtsstadt von Jules Vernes und eine Kunst- und Kulturmetropole mit ganz besonderer Industriekultur. Bestechend ist die innovative, nachhaltige Stadtplanung. Die hohe Lebensqualität zieht Touristen und junge Franzosen gleichermaßen an.

Es ist schattig unterm Kirschbaum. Ein laues Lüftchen lässt den Klatschmohn wehen. Ein junges Paar hat es sich mit Baguette und Käse an einer Holz-Tischgruppe gemütlich gemacht. Eine Gruppe Radfahrer radelt zügig vorbei. Wir sind hier keineswegs irgendwo auf dem Land, sondern mitten in der Innenstadt von Nantes. 20 Meter weiter fährt die Tram ab. Gegenüber trutzt die massive Burgmauer rund um das beeindruckende Renaissance-Schloss der Herzöge der Bretagne mit seinen filigranen Stuck-Ornamenten, das auch das sehenswerte Stadtmuseum beherbergt. Auf der Wehrmauer kann man einmal um den Komplex spazieren. Umsonst. Wie so vieles in der Stadt. Im Festungsgraben chillen Leute, und es grasen Schafe auf wilden Wiesen. Die umliegenden Creperien und Restaurants in den Gassen der Altstadt sind voll. Dieser Ort ist quirlig, lebendig und doch unaufgeregt. Eine spannende Mischung aus Lebenslust, Gelassenheit, Kunst und Kultur.

Müsste man eine Farbe für Nantes auswählen, so wäre es ein kräftiges Grün. Kombiniert mit maritimem Blau für diese ehemals wichtige französische Hafen-Stadt am südlichsten Zipfel der Bretagne im geschützten Mündungsdelta der Loire, die 70 Kilometer weiter bei St. Nazaire in den Atlantik fließt. Für Touristen und sicher auch für die Einheimischen ist beides sehr attraktiv: einerseits die grüne, autoarme, fahrradfreundliche Innenstadt mit ihren vielen Parks und Grünflächen, durchzogen von einer „Ligne Verte“, einer „grünen Linie“, entlang der man auf über 20 Kilometern Länge quer durch die Stadt dutzende Kunstwerke im öffentlichen Raum entdecken kann.

Das maritime „blaue Erbe“ andererseits, eng verbunden mit Nantes‘ Bedeutung als Handels-,Schiffsbau- und Industriestadt, erläuft man sich am besten bei einem Besuch der „Ile de Nantes“, einer Insel, die einst der industrielle Kern der Stadt war. Nachdem dort 1987 die letzten großen Werften schließen mussten und auch die Fischerei-Konservenindustrie abwanderte, mussten sich die Nanteser neu erfinden. In dieser klassischen Hochburg der Industrie-Arbeiterschaft gelang seit den 1990er-Jahren ein bemerkenswerter Strukturwandel, der die Stadt so einzigartig macht. Eng verbunden ist diese Transformation mit dem Namen des damaligen sozialistischen Bürgermeisters Jean-Marc Ayrault. Er hatte eine nachhaltige Vision von seiner Stadt, trieb den Umbau der Industriebrachen auf der Insel zu Kultur- und Kunstorten ehrgeizig voran.

Heute geht es der Stadt (330.000 Einwohner, 700.000 in der ganzen Metropole) wieder sehr gut, es herrscht fast Vollbeschäftigung, Ingenieurs­kunst (zum Beispiel Airbus) hat die Werften ersetzt. Geld verdient wird mit dem See­verkehr, digitalen Industrien und in der Kreativ- und Kulturbranche. Nantes ist eine junge, dynamische Stadt und bei Touristen wie Franzosen, die gerne auch aus dem teuren und engen Paris zuziehen, zunehmend beliebt.

Erst entstand auf der Ile de Nantes 2005 das monumentale Justizministerium „Palais de Justice“ von Star-Architekt Jean Nouvel, dann lud man weitere renommierte Architekten und Künstler wie Daniel Buren, Erwin Wurm oder Jean Prouvé ein, nicht nur die Insel umzubauen und künstlerisch zu gestalten, sondern sie für Besucher und Einheimische gleichermaßen zu erschließen. Und zwar nachhaltig, unter Einbeziehung der Industrieruinen und der Natur. Damit war Nantes vor 20 Jahren bereits seiner Zeit voraus. Man stößt auf nachhaltiges Bauen überall in der Stadt und auf dem ehemaligen Werftgelände.

Dort findet man heute zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum, Universitätsgebäude, benutzbare und begehbare Kunstwerke, aber auch Bars, Restaurants und Clubs. Wer günstig und gut essen will, sollte die „Cantine de Voyage“ am „Quai de bananes“ besuchen. Wahrscheinlich trifft man auf dem Weg dorthin auf ein Wesen, das Nantes die Auszeichung „Stadt mit der originellsten Attraktion“ eingebracht hat: „Le grand Elephant“. Man hört diesen gigantischen, motorisierten Elefanten aus Stahl schon von Weitem. Und wenn diese zwölf Meter hohe Riesen-Maschine dann gemächlich um die Ecke im „Parc des Chantiers“ biegt, traut man kaum seinen Augen und geht in Deckung, weil der Riese, gesteuert von einem Maschinisten, Wasser aus seinem Rüssel verspüht. In der Geburtsstadt von Jules Verne ist eben alles möglich. Auch eine solche Elefanten-Maschine, auf der man mitfahren (oder reiten?) kann. Weitere verrückte Metall-Tiere zeigt die „Galerie des Machines“. Man kann dort Hebel selbst in Bewegung setzen, eine Riesenspinne oder einen Metall-Vogel steuern. Magisch-nostalgisch ist eine Fahrt im „Carrousel des Mondes Marins“ auf einem der fantastischen Wesen, wie sie 20.000 Meilen unter dem Meer womöglich schon von Jules Vernes gesichtet wurden.

Lohnend sind Abstecher ins Umland: in die umliegenden Weinberge, wo die Rebsorte „Melon de Bourgogne“ wächst, aus der die Muscadet-Weißweine gemacht werden. Im Schlösschen „La Frémoire“ zum Beispiel stellt der Nanteser Weinverband ausgezeichnete Weine der Region vor. Besonders viel Spaß macht das, wenn die Präsidentin der jungen Winzer, Mathilde Chatellier, sie präsentiert. Und dazu noch ein leckeres Essen serviert wird.

Gut kombinierbar ist dieser Ausflug in den Wein mit dem Kunst-Parcours entlang des „Estuaire Nantes-St. Nazaire“: Im Mündungsgebiet der Loire entstanden zwischen 2011 und 2021 mehr als 30 große Kunst-Installationen, die man sich mit dem Auto, per Schiff oder auch mit dem Fahrrad, erschließen kann. Spektakulär: Erwin Wurms Boot-In­stallation, die eine Schleuse in die Freiheit überspringt. Oder das riesige Stahl-Skelett einer See-Schlange des chinesischen Künstlers Huang Yong Ping am Strand vor St. Nazaire.

Viele Jahrhunderte zurück reicht die Geschichte Nantes als bedeutende Hafen- und Handelsstadt. Dort hat man sich dazu entschlossen, auch die dunklen Kapitel der Metropole nicht auszublenden. Als Umschlagplatz für Waren aus der Karibik wurde Nantes im 17. und 18. Jahrhundert reich. Ohne den grausamen Handel mit afrikanischen Sklaven wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Die Schiffe starteten im Hafen von Nantes mit Waren zum Tausch gegen afrikanische Sklaven, die wiederum in der Karibik gegen Zucker, Tabak und Baumwolle verkauft wurden. Auf der Uferpromenade entstand 2012 das größte Mahnmal für die Millionen von afrikanischen Sklaven, die im Laufe von 200 Jahren nach Frankreich und in die Kolonien verschleppt wurden. Allein von Nantes aus segelten über 1800 Transportschiffe. Die Namen der Schiffe sind auf einer Strecke von anderthalb Kilometer in den Boden eingelassen. Die versklavten Menschen, die sie transportierten, bleiben hingegen namenlos.

Nantes ist wirklich eine Reise wert. Die Stadt ist zwar Verwaltungshauptstadt des „Pays de la Loire“. Die berühmten Schlösser der Loire – Chenonceau oder Chambord – sind nicht weit. Dennoch versteht man sich auch als Tor zur Bretagne. Die bretonische Sprache wird sehr gepflegt. Und schließlich ist Nantes die Geburts- und Residenzstadt der berühmten Anne de Bretagne (1477-1514), die gleich zweimal französische Königin war und als letzte Regentin der Bretagne lange für die Unabhängigkeit von Frankreich kämpfte. Annes Herz ist auch heute noch in Nantes begraben.

Die Reise wurde von „Le Voyage à Nantes“ unterstützt.

Next Post

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

RECOMMENDED NEWS

FOLLOW US

BROWSE BY CATEGORIES

Welcome Back!

Login to your account below

Retrieve your password

Please enter your username or email address to reset your password.