Indonesien Im Sog der Seenomaden
Im Südchinesischen Meer liegt einer der entlegensten Archipele Indonesiens. Auf den Anambas haben Taucher und Naturbegeisterte noch immer so manches Eiland ganz für sich allein.
Ein toller Ausblick auf die Anambas-Inseln bietet sich von Pulau Lidi.
Foto: Win Schumacher
Die Sonne ist eben erst über den Inselchen im Osten aufgegangen, als Corina Ruswantis Boot vom Steg ablegt. Durch das klare Wasser unter der Meeresbiologin gleiten grellfarbige Fischschwärme. Ein Riffhai patrouilliert über den Korallen. Im Morgengrauen sind Flughunde von ihrem nächtlichen Ausflug in die Mangroven zurückgekehrt. Die 29-jährige Indonesierin ist aufgebrochen, um zwei Inseln zu besuchen, auf denen sie derzeit öfter anlegt.
„Gerade beginnt die Zeit, in der die Schildkröten auf den Anambas schlüpfen“, sagt Ruswanti, „Dann fahren wir fast jeden Tag hinaus, um die Eier der stark bedrohten Echten Karett- und Grünen Meeresschildkröten zu überwachen.“ Mit dem Fernglas beobachtet sie einen Strand des unbewohnten Inselchens Sanggah, ein weißer Streifen Sand vor üppigem Urwaldgrün und ein paar Kokospalmen. Menschen sind hier an diesem Morgen nicht unterwegs, wohl aber ein hungriger Bindenwaran. Er ist wohl ebenso wie Ruswanti aufgrund der Schildkröten bereits früh wach. „Die Warane können wir manchmal vertreiben, um die schlüpfenden Schildkröten bis ins sichere Meer zu begleiten“, sagt Ruswanti, „viel gefährlicher für sie ist aber der Mensch. Die Leute hier glauben, dass ihre Eier besonders stark machen und viele Tiere werden in Indonesien noch immer gewildert.“
Wer Ruswanti auf ihren Bootsausflügen durch den indonesischen Anambas-Archipel zwischen der Malaiischen Halbinsel und Borneo, begleitet, wähnt sich auf einer Fahrt in eine unentdeckte Inselwelt. Einsame Strände, vor Farben sprühende Korallenriffe und dichter Tropenwald vor dem blendenden Azur des Ozeans – in vielen Teilen Südostasiens haben die Beschreibungen aus den Reisebroschüren nur wenig mit der Realität zu tun. So manches vermeintliche Inselparadies entpuppt sich vor Ort als überlaufenes Ziel des Massentourismus. Hier aber auf den Anambas scheinen die Klischees vom weltabgeschiedenen Garten Eden tatsächlich zuzutreffen. Nur 26 der mehr als 255 meist winzigen Inselchen des Archipels sind bewohnt. Von den etwa 50.000 Einwohnern leben die meisten auf den drei Hauptinseln Siantan, Palmatak und Jemaja. 97 Prozent der Fläche des Anambas-Regierungsbezirks ist Meer. Einige Eilande liegen mehr als sieben Stunden mit dem Fischerboot von dem Inselhauptstädtchen Tarempa auf Siantan entfernt. Etliche sind noch immer von dichtem Dschungel bedeckt. Trotz ihrer einzigartigen Schönheit locken die Inseln aufgrund ihrer Entlegenheit nur wenige Touristen. Bisher zog es vor allem abenteuerlustige Taucher auf den Archipel, die auf Tauchexpeditionen mit dem Schiff kamen oder in einfachen Gästehäusern übernachteten. Erst 2017 eröffnete mit dem Bawah Reserve das erste Luxus-Resort auf der gleichnamigen Inselgruppe. Seither ist der Archipel für Urlauber auch in nur 75 Minuten mit dem Wasserflugzeug ab der Singapur gegenüberliegenden Insel Batam erreichbar. Die Ankunft im blendenden Türkis der Lagune, die so manchen an ein winziges Bora Bora erinnert, hat wahrlich etwas Halluzinogenes.
Bindenwarane leben auf den indonesischen Anambas-Inseln.
Foto: Win Schumacher
Erst auf den zweiten oder dritten Blick entdeckt der Neuankömmling, der gerade erst seiner aus den Fugen geratenen Welt entflohen ist, dann doch, dass auch die Anambas-Inseln unweigerlich Teil eines siechenden Planeten sind. Auf einer Kajakfahrt zu einem vorgelagerten Inselchen stößt der berauschte Tourist auf zerrissene Fischernetze, die wie Bartflechten in den Mangroven hängen. Eine Plastikflasche mit chinesischem Etikett schwimmt vorbei. Unter den Luftwurzeln liegen vom Meer angeschwemmte Reste von Schiffstauen und Reissäcken.
„Selbst auf den entlegensten Inseln findet man Müll“, sagt Ruswanti, „anhand der Beschriftungen kann man erkennen, dass er meist aus China, Thailand und Vietnam kommt.” Die Anambas-Inseln mögen zu den isoliertesten Archipelen Südostasiens gehören, sie liegen jedoch nicht weit von wichtigen Seefahrtrouten im Südchinesischen Meer. Die Millionenmetropole Singapur liegt nur etwa 250 Kilometer Luftlinie von der südlichsten Insel Repong.
Corina Ruswanti ist Meeresbiologin.
Foto: Win Schumacher
Auf dem Rückweg von ihrer Schildkröten-Patrouille kommt Ruswanti an einer Bucht vorbei, in der ein paar bunte Fischerboote dümpeln. „Die Suku Laut gehören zu den Völkern, die seit Jahrhunderten die entlegensten Inseln besuchen”, erklärt sie, „viele Fischen noch immer mit Speeren wie ihre Vorfahren.” Die auch oft als Seenomaden zusammengefasste Ethnie gehört zu einer Gruppe an Völkern, die traditionell auf Fischzügen zwischen dem Norden Myanmars und den abgeschiedensten Inseln Indonesiens umherzogen.
„Die Suku Laut haben über Generationen gelernt, selbst auf winzigen unbewohnten Inseln über Wochen zu überdauern”, sagt Halim Darma Putra. Wer den 25-jährigen in den dichten Regenwald der Insel Bawah begleitet, lernt einiges über die vielseitige Verwendung von Pflanzen in der Küche der Anambas und ihre Heilwirkung. Der Naturführer aus Siantan hat von seinen Großeltern noch die traditionelle Fischfangtechniken und die Nutzung verschiedener medizinischer Pflanzen gelernt. Heute unternimmt er Kajak-Ausflüge mit Touristen oder erklärt ihnen auf Dschungelwanderungen die einheimische Flora und Fauna. „Ohne die Kenntnisse der Pflanzen und Tiere kann man auf den Inseln nicht überleben”, sagt Darma Putra.
Darma Putra weist auf eine Pflanze mit tomatenroten, den Früchten von Stechpalmen ähnlichen Beeren hin. „Sie wird Fledermausblume oder Tacca Palmata genannt und hat an Maniok erinnernde Knollen. Wir nutzen sie zur Wundbehandlung und als Schmerzmittel.“ Nicht weit davon hat er einen Strauch entdeckt, der ebenfalls in der Hausapotheke der Suku Laut Verwendung findet. „Die Früchte der Kaffernlimette helfen bei Magenbeschwerden“, sagt der Guide, „die Blätter werden auch zum Würzen von Gerichten wie dem indonesischen Opor Ayam genutzt“.
Von einer Anhöhe haben die Wanderer eine überwältigende Aussicht auf die Korallenriffe ringsum. Ein langgestrecktes Mangroveneiland schützt die Lagune. Dahinter ragt schroff wie eine Pyramide das Felseninselchen Tokong auf. Das Türkis der Lagune lockt für einen Schnorchelausflug nach der Wanderung.
„Nur wer die Anambas auch unter Wasser erkundet, erlebt die ganze natürliche Vielfalt der Inseln“, sagt Abdul Azis. Der einheimische Tauchlehrer begleitet eine Gruppe Touristen mit dem Boot hinaus vor das Inselchen Lidi. Bereits der erste Blick durch die Taucherbrille gibt ihm recht. Vagabund-Falterfische, Gepunktete Papageifische und Blaukopf-Kaiserfische mischen Neongelb, Pink und Kobaltblau ins Türkis. Schwarzflossen-Riffhaie halten über den Fisch-Schnellstraßen zwischen den Korallen Wacht. Eine erste Meerescchildkröte gleitet in schwereloser Eleganz vorbei. Ein Fledermausfisch taucht aus der Tiefe auf. Wie aus dem All einer Science-Fiction-Serie eingeflogen, wirken die Büffelkopf-Papageifische mit ihren übergroßen Stirnschwülsten und bizarr hervorstehenden Hasenzähnen. Nur eine weitere Meeresschildkröten kann die Schnorchler von den Aliens ablenken. Sie kehren voller Euphorie in ihr Boot zurück.
„Es ist selbst für Indonesier etwas Besonderes, diese intakte Natur zu erleben“, sagt Corina Ruswanti. „Wir glauben, dass jeder, der diese Schönheit mit eigenen Augen gesehen hat, auch versteht, dass wir alles für den Erhalt der Natur tun müssen. Wenn die Inseln so die Besucher inspirieren, haben wir schon etwas erreicht.“
Indonesien Im Sog der Seenomaden
Im Südchinesischen Meer liegt einer der entlegensten Archipele Indonesiens. Auf den Anambas haben Taucher und Naturbegeisterte noch immer so manches Eiland ganz für sich allein.
Ein toller Ausblick auf die Anambas-Inseln bietet sich von Pulau Lidi.
Foto: Win Schumacher
Die Sonne ist eben erst über den Inselchen im Osten aufgegangen, als Corina Ruswantis Boot vom Steg ablegt. Durch das klare Wasser unter der Meeresbiologin gleiten grellfarbige Fischschwärme. Ein Riffhai patrouilliert über den Korallen. Im Morgengrauen sind Flughunde von ihrem nächtlichen Ausflug in die Mangroven zurückgekehrt. Die 29-jährige Indonesierin ist aufgebrochen, um zwei Inseln zu besuchen, auf denen sie derzeit öfter anlegt.
„Gerade beginnt die Zeit, in der die Schildkröten auf den Anambas schlüpfen“, sagt Ruswanti, „Dann fahren wir fast jeden Tag hinaus, um die Eier der stark bedrohten Echten Karett- und Grünen Meeresschildkröten zu überwachen.“ Mit dem Fernglas beobachtet sie einen Strand des unbewohnten Inselchens Sanggah, ein weißer Streifen Sand vor üppigem Urwaldgrün und ein paar Kokospalmen. Menschen sind hier an diesem Morgen nicht unterwegs, wohl aber ein hungriger Bindenwaran. Er ist wohl ebenso wie Ruswanti aufgrund der Schildkröten bereits früh wach. „Die Warane können wir manchmal vertreiben, um die schlüpfenden Schildkröten bis ins sichere Meer zu begleiten“, sagt Ruswanti, „viel gefährlicher für sie ist aber der Mensch. Die Leute hier glauben, dass ihre Eier besonders stark machen und viele Tiere werden in Indonesien noch immer gewildert.“
Wer Ruswanti auf ihren Bootsausflügen durch den indonesischen Anambas-Archipel zwischen der Malaiischen Halbinsel und Borneo, begleitet, wähnt sich auf einer Fahrt in eine unentdeckte Inselwelt. Einsame Strände, vor Farben sprühende Korallenriffe und dichter Tropenwald vor dem blendenden Azur des Ozeans – in vielen Teilen Südostasiens haben die Beschreibungen aus den Reisebroschüren nur wenig mit der Realität zu tun. So manches vermeintliche Inselparadies entpuppt sich vor Ort als überlaufenes Ziel des Massentourismus. Hier aber auf den Anambas scheinen die Klischees vom weltabgeschiedenen Garten Eden tatsächlich zuzutreffen. Nur 26 der mehr als 255 meist winzigen Inselchen des Archipels sind bewohnt. Von den etwa 50.000 Einwohnern leben die meisten auf den drei Hauptinseln Siantan, Palmatak und Jemaja. 97 Prozent der Fläche des Anambas-Regierungsbezirks ist Meer. Einige Eilande liegen mehr als sieben Stunden mit dem Fischerboot von dem Inselhauptstädtchen Tarempa auf Siantan entfernt. Etliche sind noch immer von dichtem Dschungel bedeckt. Trotz ihrer einzigartigen Schönheit locken die Inseln aufgrund ihrer Entlegenheit nur wenige Touristen. Bisher zog es vor allem abenteuerlustige Taucher auf den Archipel, die auf Tauchexpeditionen mit dem Schiff kamen oder in einfachen Gästehäusern übernachteten. Erst 2017 eröffnete mit dem Bawah Reserve das erste Luxus-Resort auf der gleichnamigen Inselgruppe. Seither ist der Archipel für Urlauber auch in nur 75 Minuten mit dem Wasserflugzeug ab der Singapur gegenüberliegenden Insel Batam erreichbar. Die Ankunft im blendenden Türkis der Lagune, die so manchen an ein winziges Bora Bora erinnert, hat wahrlich etwas Halluzinogenes.
Bindenwarane leben auf den indonesischen Anambas-Inseln.
Foto: Win Schumacher
Erst auf den zweiten oder dritten Blick entdeckt der Neuankömmling, der gerade erst seiner aus den Fugen geratenen Welt entflohen ist, dann doch, dass auch die Anambas-Inseln unweigerlich Teil eines siechenden Planeten sind. Auf einer Kajakfahrt zu einem vorgelagerten Inselchen stößt der berauschte Tourist auf zerrissene Fischernetze, die wie Bartflechten in den Mangroven hängen. Eine Plastikflasche mit chinesischem Etikett schwimmt vorbei. Unter den Luftwurzeln liegen vom Meer angeschwemmte Reste von Schiffstauen und Reissäcken.
„Selbst auf den entlegensten Inseln findet man Müll“, sagt Ruswanti, „anhand der Beschriftungen kann man erkennen, dass er meist aus China, Thailand und Vietnam kommt.” Die Anambas-Inseln mögen zu den isoliertesten Archipelen Südostasiens gehören, sie liegen jedoch nicht weit von wichtigen Seefahrtrouten im Südchinesischen Meer. Die Millionenmetropole Singapur liegt nur etwa 250 Kilometer Luftlinie von der südlichsten Insel Repong.
Corina Ruswanti ist Meeresbiologin.
Foto: Win Schumacher
Auf dem Rückweg von ihrer Schildkröten-Patrouille kommt Ruswanti an einer Bucht vorbei, in der ein paar bunte Fischerboote dümpeln. „Die Suku Laut gehören zu den Völkern, die seit Jahrhunderten die entlegensten Inseln besuchen”, erklärt sie, „viele Fischen noch immer mit Speeren wie ihre Vorfahren.” Die auch oft als Seenomaden zusammengefasste Ethnie gehört zu einer Gruppe an Völkern, die traditionell auf Fischzügen zwischen dem Norden Myanmars und den abgeschiedensten Inseln Indonesiens umherzogen.
„Die Suku Laut haben über Generationen gelernt, selbst auf winzigen unbewohnten Inseln über Wochen zu überdauern”, sagt Halim Darma Putra. Wer den 25-jährigen in den dichten Regenwald der Insel Bawah begleitet, lernt einiges über die vielseitige Verwendung von Pflanzen in der Küche der Anambas und ihre Heilwirkung. Der Naturführer aus Siantan hat von seinen Großeltern noch die traditionelle Fischfangtechniken und die Nutzung verschiedener medizinischer Pflanzen gelernt. Heute unternimmt er Kajak-Ausflüge mit Touristen oder erklärt ihnen auf Dschungelwanderungen die einheimische Flora und Fauna. „Ohne die Kenntnisse der Pflanzen und Tiere kann man auf den Inseln nicht überleben”, sagt Darma Putra.
Darma Putra weist auf eine Pflanze mit tomatenroten, den Früchten von Stechpalmen ähnlichen Beeren hin. „Sie wird Fledermausblume oder Tacca Palmata genannt und hat an Maniok erinnernde Knollen. Wir nutzen sie zur Wundbehandlung und als Schmerzmittel.“ Nicht weit davon hat er einen Strauch entdeckt, der ebenfalls in der Hausapotheke der Suku Laut Verwendung findet. „Die Früchte der Kaffernlimette helfen bei Magenbeschwerden“, sagt der Guide, „die Blätter werden auch zum Würzen von Gerichten wie dem indonesischen Opor Ayam genutzt“.
Von einer Anhöhe haben die Wanderer eine überwältigende Aussicht auf die Korallenriffe ringsum. Ein langgestrecktes Mangroveneiland schützt die Lagune. Dahinter ragt schroff wie eine Pyramide das Felseninselchen Tokong auf. Das Türkis der Lagune lockt für einen Schnorchelausflug nach der Wanderung.
„Nur wer die Anambas auch unter Wasser erkundet, erlebt die ganze natürliche Vielfalt der Inseln“, sagt Abdul Azis. Der einheimische Tauchlehrer begleitet eine Gruppe Touristen mit dem Boot hinaus vor das Inselchen Lidi. Bereits der erste Blick durch die Taucherbrille gibt ihm recht. Vagabund-Falterfische, Gepunktete Papageifische und Blaukopf-Kaiserfische mischen Neongelb, Pink und Kobaltblau ins Türkis. Schwarzflossen-Riffhaie halten über den Fisch-Schnellstraßen zwischen den Korallen Wacht. Eine erste Meerescchildkröte gleitet in schwereloser Eleganz vorbei. Ein Fledermausfisch taucht aus der Tiefe auf. Wie aus dem All einer Science-Fiction-Serie eingeflogen, wirken die Büffelkopf-Papageifische mit ihren übergroßen Stirnschwülsten und bizarr hervorstehenden Hasenzähnen. Nur eine weitere Meeresschildkröten kann die Schnorchler von den Aliens ablenken. Sie kehren voller Euphorie in ihr Boot zurück.
„Es ist selbst für Indonesier etwas Besonderes, diese intakte Natur zu erleben“, sagt Corina Ruswanti. „Wir glauben, dass jeder, der diese Schönheit mit eigenen Augen gesehen hat, auch versteht, dass wir alles für den Erhalt der Natur tun müssen. Wenn die Inseln so die Besucher inspirieren, haben wir schon etwas erreicht.“