Schottland: Flitschen für Fortgeschrittene

Schottland Flitschen für Fortgeschrittene

Easdale Island · Die schottische Easdale Island ist Schauplatz einer der wohl exzentrischsten Sportveranstaltungen der Welt: der WM im „Stone Skimming.“

Viele der Steineflitscher nehmen auch kostümiert an den Wettbewerben teil.

Foto: Udo Haafke

Mindestens zwei Mal muss der Stein auf dem Wasser aufsetzen, damit ein Wurf Gültigkeit hat. Das anthrazitfarbene Wurfgerät muss von der Insel Easdale stammen und es darf im Durchmesser nicht größer als 7,62 Zentimeter sein. Jeder Teilnehmer hat drei Würfe, deren Gesamtweite letztlich für die Wertung entscheidend ist. Auf diesem vergleichsweise simplen Regelwerk basiert eine der exzentrischsten Sportveranstaltungen im Norden des Vereinigten Königreichs: die alljährlich im September auf Easdale Island ausgetragene Weltmeisterschaft im „Stone Skimming“.

Die einschlägigen Wörterbücher übersetzen den Begriff etwas holprig mit „Steine hüpfen lassen“, aus dem sich das umgangssprachlichere „Steine flitschen“ ableiten lässt. Eine Beschäftigung also, die sicherlich ein jeder kennt, der an einem ruhigen Seeufer stehend übers Wasser blickt und dabei die Lust verspürt, einen flachen Stein über die Wasseroberfläche, mit möglichst vielen Aufsetzern und natürlich möglichst weit, flitzen zu lassen. Von Spöttern als infantiler Spaß abqualifiziert, erfreut sich das einfache sportliche Vergnügen bei Groß und Klein überaus großer Beliebtheit.

Ihren Ursprung hat die skurrile Veranstaltung, wo auch sonst als in einem Pub, als eine gesellige Runde anno 1983 im einzigen Wirtshaus Easdales kontrovers über das Thema diskutierte und kurzerhand einen Wettbewerb startete, um denjenigen zu ermitteln, der einen Stein hüpfenderweise am weitesten befördern kann. Der mittlerweile verstorbene Bertie Baker gilt als der aktive Gründervater der Meisterschaften. Zu seinen Ehren wurde eine der Siegertrophäen nach ihm „Bertie“ benannt. Es sollte aber noch 14 Jahre dauern, bis man die ungewöhnliche Konkurrenz nachhaltig etablierte. Seit 1997 findet sie regelmäßig statt, neuerlich unterbrochen durch eine Pandemie-Pause, und 2023 dann wieder in alter Frische und wie gewohnt mit Teilnehmern aus aller Welt. Die im zum Wettkampfbüro umfunktionierten Gemeindesaal aushängende Liste beschränkt sich nicht nur auf Großbritannien und Westeuropa, auch Jung und Alt aus Neuseeland, Australien, Kanada oder Japan sind da als Herkunftsländer registriert. Und wäre die maximale Teilnehmerzahl nicht auf 350 Personen im Alter von sechs bis 99 Jahren limitiert, es kämen sicher noch einige dazu. Die komplette Organisation und Durchführung der Meisterschaften wird von Ehrenamtlern bestritten, die Einnahmen aus der Teilnahmegebühr kommen zur Gänze der Gemeinde zu Gute.

Easdale Island, die kleinste, permanent bewohnte Insel der Inneren Hebriden, war einst das Herz des industriellen Schieferabbaus in Schottland. Was im 16. Jahrhundert begann, gedieh dreihundert Jahre später zu mächtiger wirtschaftlicher Größe bevor 1911 das letzte schwarze Gold gefördert wurde. Zurück blieben die in Reihen angelegten weißen Häuser der Arbeiter und die nun nutzlosen, mit Wasser gefüllten Steinbrüche in künstlich entstandener Insellandschaft. Einer davon liegt derart gut von Wind und Wetter abgeschirmt, mithin prädestiniert als perfekter Austragungsort der Meisterschaften und mit besten Tribünenplätzen für die Zuschauer, die teils ebenfalls von der anderen Seite des Globus angereist sind.

Gängiger schottischer Sitte folgend, läutet ein Dudelsackspieler, ein Piper, zu den Klängen seines eigentümlichen Musikinstruments mit typischen Weisen und natürlich gekleidet im Kilt, den Wettkampf ein. Angesichts der herrschenden Temperaturen wünscht ihm das mittlerweile zahlreich versammelte, Wind, Regen und Kälte trotzende Publikum, er möge auch Unterwäsche tragen. Dann aber geht es unter Beifall und einer markigen Einführung des stimmgewaltigen Spielleiters los. Zunächst sind die Jüngsten am Zuge und mühen sich redlich, jedoch meist nur mit geringem Erfolg, die kleinen grauen Steine wunschgemäß auf die Fläche zu befördern. Doch Mädchen wie Jungen haben sichtlich Spaß an ihrem Tun. Anschließend folgen die Junioren bis 16 Jahre.

Während einige der Teilnehmer für den besonderen Augenblick ihrer drei Würfe sich nur kurz ihrer schützenden Regenkleidung entledigen, machen sich andere den Spaß einer originellen Kostümierung. Den Vogel jedoch schießen die australischen Stone-Skimmer ab, die sich, ihren tatsächlichen schottischen Aufenthaltsort geflissentlich ignorierend, im knappen Badeoutfit zur Abwurfmarkierung begeben und unter bewunderndem Beifall ihre Würfe absolvieren. Inte­ressant sind die dargebotenen unterschiedlichen Wurftechniken, die in ihrer ungeheuer großen Bandbreite gar an fernöstliche Kampfsportarten ebenso erinnern wie an skurrile sportliche Disziplinen, die es nicht ganz bis zur olympischen Reife geschafft haben. Zur abschließenden Siegerehrung platzt der Gemeindesaal dann nochmals aus allen Nähten. Erneut untermalt von Dudelsackklängen nehmen die Sieger und Siegerinnen ihre Pokale und Urkunden entgegen. Heißer Tee fließt in Strömen, später dann auch das eine oder andere alkoholische Getränk und noch lange wird lebhaft über die soeben erlebten Geschehnisse debattiert.

Die Recherche erfolgte mit Unterstützung durch das Schottische Fremdenverkehrsamt.

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Easdale Island · Die schottische Easdale Island ist Schauplatz einer der wohl exzentrischsten Sportveranstaltungen der Welt: der WM im „Stone Skimming.“

Viele der Steineflitscher nehmen auch kostümiert an den Wettbewerben teil.

Foto: Udo Haafke

Mindestens zwei Mal muss der Stein auf dem Wasser aufsetzen, damit ein Wurf Gültigkeit hat. Das anthrazitfarbene Wurfgerät muss von der Insel Easdale stammen und es darf im Durchmesser nicht größer als 7,62 Zentimeter sein. Jeder Teilnehmer hat drei Würfe, deren Gesamtweite letztlich für die Wertung entscheidend ist. Auf diesem vergleichsweise simplen Regelwerk basiert eine der exzentrischsten Sportveranstaltungen im Norden des Vereinigten Königreichs: die alljährlich im September auf Easdale Island ausgetragene Weltmeisterschaft im „Stone Skimming“.

Die einschlägigen Wörterbücher übersetzen den Begriff etwas holprig mit „Steine hüpfen lassen“, aus dem sich das umgangssprachlichere „Steine flitschen“ ableiten lässt. Eine Beschäftigung also, die sicherlich ein jeder kennt, der an einem ruhigen Seeufer stehend übers Wasser blickt und dabei die Lust verspürt, einen flachen Stein über die Wasseroberfläche, mit möglichst vielen Aufsetzern und natürlich möglichst weit, flitzen zu lassen. Von Spöttern als infantiler Spaß abqualifiziert, erfreut sich das einfache sportliche Vergnügen bei Groß und Klein überaus großer Beliebtheit.

Ihren Ursprung hat die skurrile Veranstaltung, wo auch sonst als in einem Pub, als eine gesellige Runde anno 1983 im einzigen Wirtshaus Easdales kontrovers über das Thema diskutierte und kurzerhand einen Wettbewerb startete, um denjenigen zu ermitteln, der einen Stein hüpfenderweise am weitesten befördern kann. Der mittlerweile verstorbene Bertie Baker gilt als der aktive Gründervater der Meisterschaften. Zu seinen Ehren wurde eine der Siegertrophäen nach ihm „Bertie“ benannt. Es sollte aber noch 14 Jahre dauern, bis man die ungewöhnliche Konkurrenz nachhaltig etablierte. Seit 1997 findet sie regelmäßig statt, neuerlich unterbrochen durch eine Pandemie-Pause, und 2023 dann wieder in alter Frische und wie gewohnt mit Teilnehmern aus aller Welt. Die im zum Wettkampfbüro umfunktionierten Gemeindesaal aushängende Liste beschränkt sich nicht nur auf Großbritannien und Westeuropa, auch Jung und Alt aus Neuseeland, Australien, Kanada oder Japan sind da als Herkunftsländer registriert. Und wäre die maximale Teilnehmerzahl nicht auf 350 Personen im Alter von sechs bis 99 Jahren limitiert, es kämen sicher noch einige dazu. Die komplette Organisation und Durchführung der Meisterschaften wird von Ehrenamtlern bestritten, die Einnahmen aus der Teilnahmegebühr kommen zur Gänze der Gemeinde zu Gute.

Easdale Island, die kleinste, permanent bewohnte Insel der Inneren Hebriden, war einst das Herz des industriellen Schieferabbaus in Schottland. Was im 16. Jahrhundert begann, gedieh dreihundert Jahre später zu mächtiger wirtschaftlicher Größe bevor 1911 das letzte schwarze Gold gefördert wurde. Zurück blieben die in Reihen angelegten weißen Häuser der Arbeiter und die nun nutzlosen, mit Wasser gefüllten Steinbrüche in künstlich entstandener Insellandschaft. Einer davon liegt derart gut von Wind und Wetter abgeschirmt, mithin prädestiniert als perfekter Austragungsort der Meisterschaften und mit besten Tribünenplätzen für die Zuschauer, die teils ebenfalls von der anderen Seite des Globus angereist sind.

Gängiger schottischer Sitte folgend, läutet ein Dudelsackspieler, ein Piper, zu den Klängen seines eigentümlichen Musikinstruments mit typischen Weisen und natürlich gekleidet im Kilt, den Wettkampf ein. Angesichts der herrschenden Temperaturen wünscht ihm das mittlerweile zahlreich versammelte, Wind, Regen und Kälte trotzende Publikum, er möge auch Unterwäsche tragen. Dann aber geht es unter Beifall und einer markigen Einführung des stimmgewaltigen Spielleiters los. Zunächst sind die Jüngsten am Zuge und mühen sich redlich, jedoch meist nur mit geringem Erfolg, die kleinen grauen Steine wunschgemäß auf die Fläche zu befördern. Doch Mädchen wie Jungen haben sichtlich Spaß an ihrem Tun. Anschließend folgen die Junioren bis 16 Jahre.

Während einige der Teilnehmer für den besonderen Augenblick ihrer drei Würfe sich nur kurz ihrer schützenden Regenkleidung entledigen, machen sich andere den Spaß einer originellen Kostümierung. Den Vogel jedoch schießen die australischen Stone-Skimmer ab, die sich, ihren tatsächlichen schottischen Aufenthaltsort geflissentlich ignorierend, im knappen Badeoutfit zur Abwurfmarkierung begeben und unter bewunderndem Beifall ihre Würfe absolvieren. Inte­ressant sind die dargebotenen unterschiedlichen Wurftechniken, die in ihrer ungeheuer großen Bandbreite gar an fernöstliche Kampfsportarten ebenso erinnern wie an skurrile sportliche Disziplinen, die es nicht ganz bis zur olympischen Reife geschafft haben. Zur abschließenden Siegerehrung platzt der Gemeindesaal dann nochmals aus allen Nähten. Erneut untermalt von Dudelsackklängen nehmen die Sieger und Siegerinnen ihre Pokale und Urkunden entgegen. Heißer Tee fließt in Strömen, später dann auch das eine oder andere alkoholische Getränk und noch lange wird lebhaft über die soeben erlebten Geschehnisse debattiert.

Die Recherche erfolgte mit Unterstützung durch das Schottische Fremdenverkehrsamt.

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