Singapur Gesetzlos im Großstadt-Dschungel
Singapur · Von Indien über China bis in die Zukunft – auf einer Radtour durch Singapur ziehen unterschiedliche Gesichter dieser multikulturellen Hochmodern-Metropole an einem vorbei. Regeln im Straßenverkehr? Gibt es ausgerechnet in dem strikten Stadtstaat so gut wie keine.
In Singapur trifft Tradition auf Moderne. Auf einer Radtour lernt man die Facetten des Stadtstaates gut kennen.
Foto: Sascha Rettig
Herrlich! Anarchie im Straßenverkehr – zumindest beim Radfahren! Offizielle Regeln für Radler gibt es schließlich so gut wie keine. Und das ausgerechnet hier, wo man das am wenigsten erwartet: in Singapur, dieser südostasiatischen Metropole mit rund sechs Millionen Einwohnern, der ein Ruf für äußerst strikte Regeln und Gesetze vorauseilt. „Man kann auf den Straßen, aber auch auf den Fußwegen fahren, überall“, erklärt Guide Simon Chin bei der kurzen Einführung zu seiner Radtour durch den Stadtstaat.
Nur wenige Kilometer vom echten Dschungel, von dem es im Norden des Metropolenstaats noch ein paar Überbleibsel gibt, gilt also zumindest auf dem Sattel das Gesetz des Großstadtdschungels – natürlich aber nur mit entsprechender, freundlicher Zurückhaltung: „Sind Leute im Weg, dann einfach kurz klingeln und beim Vorbeifahren ‚Danke‘ sagen“, empfiehlt Simon, als alle Mit-Radler die Helme aufsetzen. „Manchmal kann es passieren, dass sie unfreundlich reagieren“, fügt er hinzu. Nach den ersten Tests lässt sich das allerdings noch nicht bestätigen: Nach dem Klingeling treten sie lächelnd beiseite. Thank you!
Ansonsten gilt lediglich ein Tempolimit. Schneller als mit 15 Kilometern pro Stunde auf den Fußwegen zu radeln ist verboten. Bei der Tour allerdings wird deutlich entschleunigter losgefahren. Denn es ist heiß in Singapur. Und tropisch feucht. „Eine Radfahrtradition haben wir hier vor allem deshalb wahrscheinlich nicht“, sagt Simon. Schnell kommt man ins Schwitzen, obwohl man in den Straßenschluchten keinerlei Anstiege bezwingen muss.
Was dabei schnell auffällt: Wie grün Singapur ist. Die Stadt, die sich in einer Blitzmetamorphose in den vergangenen Jahrzehnten zu einer modernen Welt- und Wirtschaftsmetropole entwickelt hat, gilt als eine der grünsten weltweit. Immer wieder fallen einem entlang der Strecke dicht begrünte Dächer und Hochhausfassaden auf. Parks und Grünflächen der Stadt sind außerdem durch das „Park-Connector-System“ miteinander verbunden, sodass man kilometerweit durch das Grün spazieren und joggen kann – und eben auch bestens radeln.
Der Sri Veeramakaliamman-Tempel, früher auch als Soonambu Kambam Kovil bekannt, ist ein Hindu-Tempel mitten in Little India im südlichen Teil Singapurs.
Foto: Sascha Rettig
„Es werden zwar durchaus auch Radwege gebaut, aber wegen der Platzprobleme in der Stadt ist das mitunter schwierig“, erklärt Simon. „Um die 100 Kilometer sind es trotzdem inzwischen.“ Und ein paar Meter davon führen sogar durch völlig unerwartetes und denkbar urbanes Terrain: die „Funan Mall“, eine Shopping-Mall! Dort wird erst durch die automatischen Eingangstüren und drinnen dann vorbei an den Shops und Restaurants gefahren. Zwar sind Spuren in beide Richtungen klar auf dem Boden markiert. Die Einkaufenden interessiert das allerdings kaum. Sie wuseln fleißig darauf herum. Also wieder: Klingeling! Thank you! Am Seitenausgang wurden sogar eine Reparaturstation und Duschen für die Tropen-City-Radler eingerichtet.
Ansonsten ziehen auf der Tour unterschiedliche Viertel vorbei. Europäisch, asiatisch, indisch – man entdeckt das multikulturelle Bevölkerungsgemisch, das auch im Straßenbild der Stadt sichtbar ist. Während das muslimisch geprägte Kampong Glam und die dortige Moschee mit der glänzend-goldenen Kuppel arabisches Flair verbreiten, hat man kurze Zeit später an den bunten Arkaden von Little India tatsächlich das Gefühl, als würde man durch einen Basar in Jaipur laufen: Kitsch und Kleidung, Technik und Souvenirs, zwischendurch Tempel und viele Restaurants reihen sich vor allem in der Serangoon Road aneinander.
Kurz beamt man sich beim Radeln in den Straßen und Gassen auf den indischen Subkontinent, nur um kurze Zeit später schon in China zu landen: China-Town. „Singapur ist das einzige Land, in der in der Mehrheit Chinesen leben, das aber trotzdem ein China-Town hat“, erklärt der knapp 30-Jährige. „Es gab mehrere Einwanderungswellen aus China, weil die Menschen der Armut dort entkommen wollten.“
Da das tropische Radeln hungrig macht, wird hier nun ein Zwischenstopp eingelegt. Nachdem die Räder neben dem wuchtigen „Buddha Tooth Relic“-Tempel abgestellt wurden, geht es gegenüber in den „China Town Complex & Food Market“, eines der mehr als 100 sogenannten Hawker-Center, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. „Sie haben ihren Ursprung in den 1950er- und 1960er-Jahren“, erklärt der Radguide am Eingang. „Damals wurden die Streetfood-Verkaufsstände, unter anderem aus hygienischen Gründen, in diesen Hallen zusammengefasst. Im „China-Town Complex“ wird heute an mehr als 270 Ständen gebrutzelt, gekocht, gedämpft. Dumplings hier. Chicken Rice da. Überall läuft einem in den geschäftigen, labyrinthischen Gängen das Wasser im Munde zusammen. Sich da zu entscheiden, ist schwierig. Doch Simon führt zielstrebig durch die Gänge zu Stand „2 – 181“. Die Spezialität dort: „Hong Kong Roasted Meat“.
Als es danach mit der Tour weitergeht, wird erst durch die Gassen voller Restaurants und noch mehr Shops geschoben, dann durch die kühle Wolkenkratzer-Architektur des Business-Viertels manövriert. „Hier wird das Geld gemacht!“, ruft Simon. Schließlich landet die Gruppe in der futuristisch anmutenden Marina Bay: Hier spuckt die Statue des Merlion, dem Symbol der Stadt, Wasser. Der weltweit einzige schwimmende Apple-Store liegt im Hafenbecken. Berühmtester Blickfang ist aber sicher das „Marina Bay Sands“-Hotel mit dem ikonischen Dach. Aus der Ferne mutet es wie ein (Raum-)Schiff an, das verbindend auf den drei Hochaustürmen des Resorts zu schweben scheint. Dahinter liegt mit der superlativen Gartenanlage der „Gardens by the Bay“ ein weiterer Tourismusmagnet, zu denen das größte Gewächshaus der Welt genauso gehört sowie die 18 sogenannten Super-Trees, diese viel fotografierten Öko-Hightech-Baumkonstruktionen.
Simon allerdings fährt dahin, wo sonst die PS-monströsen Rennwagen ihre Runden ziehen – zur Formel Eins-Strecke. Ab April bis September werden die Tribünen und Absperrungen aufgebaut. Heute aber ist niemand sonst unterwegs. Mit viel, viel Platz und dem Riesenrad im Blick kann man dort daher für einige Momente über den Asphalt, auf dem in riesigen Lettern „Singapore“ steht, herumkreisen. Kreuz und quer und radanarchistisch richtig frei.
Singapur Gesetzlos im Großstadt-Dschungel
Singapur · Von Indien über China bis in die Zukunft – auf einer Radtour durch Singapur ziehen unterschiedliche Gesichter dieser multikulturellen Hochmodern-Metropole an einem vorbei. Regeln im Straßenverkehr? Gibt es ausgerechnet in dem strikten Stadtstaat so gut wie keine.
In Singapur trifft Tradition auf Moderne. Auf einer Radtour lernt man die Facetten des Stadtstaates gut kennen.
Foto: Sascha Rettig
Herrlich! Anarchie im Straßenverkehr – zumindest beim Radfahren! Offizielle Regeln für Radler gibt es schließlich so gut wie keine. Und das ausgerechnet hier, wo man das am wenigsten erwartet: in Singapur, dieser südostasiatischen Metropole mit rund sechs Millionen Einwohnern, der ein Ruf für äußerst strikte Regeln und Gesetze vorauseilt. „Man kann auf den Straßen, aber auch auf den Fußwegen fahren, überall“, erklärt Guide Simon Chin bei der kurzen Einführung zu seiner Radtour durch den Stadtstaat.
Nur wenige Kilometer vom echten Dschungel, von dem es im Norden des Metropolenstaats noch ein paar Überbleibsel gibt, gilt also zumindest auf dem Sattel das Gesetz des Großstadtdschungels – natürlich aber nur mit entsprechender, freundlicher Zurückhaltung: „Sind Leute im Weg, dann einfach kurz klingeln und beim Vorbeifahren ‚Danke‘ sagen“, empfiehlt Simon, als alle Mit-Radler die Helme aufsetzen. „Manchmal kann es passieren, dass sie unfreundlich reagieren“, fügt er hinzu. Nach den ersten Tests lässt sich das allerdings noch nicht bestätigen: Nach dem Klingeling treten sie lächelnd beiseite. Thank you!
Ansonsten gilt lediglich ein Tempolimit. Schneller als mit 15 Kilometern pro Stunde auf den Fußwegen zu radeln ist verboten. Bei der Tour allerdings wird deutlich entschleunigter losgefahren. Denn es ist heiß in Singapur. Und tropisch feucht. „Eine Radfahrtradition haben wir hier vor allem deshalb wahrscheinlich nicht“, sagt Simon. Schnell kommt man ins Schwitzen, obwohl man in den Straßenschluchten keinerlei Anstiege bezwingen muss.
Was dabei schnell auffällt: Wie grün Singapur ist. Die Stadt, die sich in einer Blitzmetamorphose in den vergangenen Jahrzehnten zu einer modernen Welt- und Wirtschaftsmetropole entwickelt hat, gilt als eine der grünsten weltweit. Immer wieder fallen einem entlang der Strecke dicht begrünte Dächer und Hochhausfassaden auf. Parks und Grünflächen der Stadt sind außerdem durch das „Park-Connector-System“ miteinander verbunden, sodass man kilometerweit durch das Grün spazieren und joggen kann – und eben auch bestens radeln.
Der Sri Veeramakaliamman-Tempel, früher auch als Soonambu Kambam Kovil bekannt, ist ein Hindu-Tempel mitten in Little India im südlichen Teil Singapurs.
Foto: Sascha Rettig
„Es werden zwar durchaus auch Radwege gebaut, aber wegen der Platzprobleme in der Stadt ist das mitunter schwierig“, erklärt Simon. „Um die 100 Kilometer sind es trotzdem inzwischen.“ Und ein paar Meter davon führen sogar durch völlig unerwartetes und denkbar urbanes Terrain: die „Funan Mall“, eine Shopping-Mall! Dort wird erst durch die automatischen Eingangstüren und drinnen dann vorbei an den Shops und Restaurants gefahren. Zwar sind Spuren in beide Richtungen klar auf dem Boden markiert. Die Einkaufenden interessiert das allerdings kaum. Sie wuseln fleißig darauf herum. Also wieder: Klingeling! Thank you! Am Seitenausgang wurden sogar eine Reparaturstation und Duschen für die Tropen-City-Radler eingerichtet.
Ansonsten ziehen auf der Tour unterschiedliche Viertel vorbei. Europäisch, asiatisch, indisch – man entdeckt das multikulturelle Bevölkerungsgemisch, das auch im Straßenbild der Stadt sichtbar ist. Während das muslimisch geprägte Kampong Glam und die dortige Moschee mit der glänzend-goldenen Kuppel arabisches Flair verbreiten, hat man kurze Zeit später an den bunten Arkaden von Little India tatsächlich das Gefühl, als würde man durch einen Basar in Jaipur laufen: Kitsch und Kleidung, Technik und Souvenirs, zwischendurch Tempel und viele Restaurants reihen sich vor allem in der Serangoon Road aneinander.
Kurz beamt man sich beim Radeln in den Straßen und Gassen auf den indischen Subkontinent, nur um kurze Zeit später schon in China zu landen: China-Town. „Singapur ist das einzige Land, in der in der Mehrheit Chinesen leben, das aber trotzdem ein China-Town hat“, erklärt der knapp 30-Jährige. „Es gab mehrere Einwanderungswellen aus China, weil die Menschen der Armut dort entkommen wollten.“
Da das tropische Radeln hungrig macht, wird hier nun ein Zwischenstopp eingelegt. Nachdem die Räder neben dem wuchtigen „Buddha Tooth Relic“-Tempel abgestellt wurden, geht es gegenüber in den „China Town Complex & Food Market“, eines der mehr als 100 sogenannten Hawker-Center, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. „Sie haben ihren Ursprung in den 1950er- und 1960er-Jahren“, erklärt der Radguide am Eingang. „Damals wurden die Streetfood-Verkaufsstände, unter anderem aus hygienischen Gründen, in diesen Hallen zusammengefasst. Im „China-Town Complex“ wird heute an mehr als 270 Ständen gebrutzelt, gekocht, gedämpft. Dumplings hier. Chicken Rice da. Überall läuft einem in den geschäftigen, labyrinthischen Gängen das Wasser im Munde zusammen. Sich da zu entscheiden, ist schwierig. Doch Simon führt zielstrebig durch die Gänge zu Stand „2 – 181“. Die Spezialität dort: „Hong Kong Roasted Meat“.
Als es danach mit der Tour weitergeht, wird erst durch die Gassen voller Restaurants und noch mehr Shops geschoben, dann durch die kühle Wolkenkratzer-Architektur des Business-Viertels manövriert. „Hier wird das Geld gemacht!“, ruft Simon. Schließlich landet die Gruppe in der futuristisch anmutenden Marina Bay: Hier spuckt die Statue des Merlion, dem Symbol der Stadt, Wasser. Der weltweit einzige schwimmende Apple-Store liegt im Hafenbecken. Berühmtester Blickfang ist aber sicher das „Marina Bay Sands“-Hotel mit dem ikonischen Dach. Aus der Ferne mutet es wie ein (Raum-)Schiff an, das verbindend auf den drei Hochaustürmen des Resorts zu schweben scheint. Dahinter liegt mit der superlativen Gartenanlage der „Gardens by the Bay“ ein weiterer Tourismusmagnet, zu denen das größte Gewächshaus der Welt genauso gehört sowie die 18 sogenannten Super-Trees, diese viel fotografierten Öko-Hightech-Baumkonstruktionen.
Simon allerdings fährt dahin, wo sonst die PS-monströsen Rennwagen ihre Runden ziehen – zur Formel Eins-Strecke. Ab April bis September werden die Tribünen und Absperrungen aufgebaut. Heute aber ist niemand sonst unterwegs. Mit viel, viel Platz und dem Riesenrad im Blick kann man dort daher für einige Momente über den Asphalt, auf dem in riesigen Lettern „Singapore“ steht, herumkreisen. Kreuz und quer und radanarchistisch richtig frei.