Frankreichs Präsidialsystem ist in den Grundfesten erschüttert. Das Strafgericht in Paris hat mit der Verurteilung Nicolas Sarkozys zu fünf Jahren Haft einen Präzedenzfall geschaffen. Das Bild eines ehemaligen Präsidenten im Gefängnis, das Sarkozy gleich nach dem Urteil malte, wird sich einprägen.
Der Vorgang markiert einen neuen Tiefpunkt in der langen Dekadenz der republikanischen Monarchie, die Frankreich ihrem Kriegshelden Charles de Gaulle verdankt. Lange blickten die Franzosen zu ihrem direkt gewählten Präsidenten auf. Das ist schon lange nicht mehr der Fall.
In immer kürzeren Abständen trachten viele Bürger danach, die Macht ihres gewählten Oberhauptes einzuschränken. Die Gelbwesten-Krise wie auch die massiven Proteste gegen die Rentenreform sind Beispiele für die geringe Legitimität, die den Präsidenten zugestanden wird.
Das Ansehen des höchsten Staatsamts ist beschädigt
Das Urteil gegen Sarkozy beschädigt massiv die Wahrnehmung des höchsten Staatsamtes. Er wurde schuldig gesprochen, Teil einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Das bedeutet, dass sich der Mann, der als Garant der Verfassung dienen soll, wie ein gewöhnlicher Verbrecher verhalten haben soll. Damit wird das Amt des Präsidenten entehrt.
Der Vertrauensverlust in die Politik nimmt in einer der ältesten europäischen Demokratien ein bedenkliches Ausmaß an. Davon zeugt auch die Tatsache, dass die Nationalversammlung seit mehr als einem Jahr blockiert ist. Die Überlebensdauer der Regierungen ist nur noch kurz. Dem neuen Premierminister Sébastien Lecornu fällt es sichtlich schwer, eine Mehrheit für den Sparhaushalt für 2026 zu finden und seine Kabinettsliste zusammenzustellen.
Aufgeheizte Krisenstimmung
Die Zweifel an der Handlungsfähigkeit angesichts der hohen Staatsverschuldung werden immer größer. Zugleich gärt es im Land. Die Gewerkschaften haben von Neuem zu Protesten aufgerufen, auch wenn noch unklar ist, wogegen sie sich eigentlich richten. Ein Wille zum Sparen ist nicht zu erkennen. Das Urteil gegen Sarkozy heizt die Krisenstimmung weiter an.
Es macht hellhörig, wie schnell Marine Le Pen sich mit Sarkozy solidarisierte. Die Rechtspopulistin sieht in dem harten Urteil eine Gelegenheit, die vorgebliche Machtergreifung der Richter anzuprangern. Sie ist bestrebt, den Justizapparat zu diskreditieren, der sie wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilte.
Le Pen ist nicht müde geworden, ihre eigene Verurteilung anzufechten. Sie behauptet, das Opfer einer richterlichen Verschwörung zu sein. In Wahrheit gehe es darum, ihr die politische Teilhabe zu verweigern.
Sarkozy und Le Pen Seite an Seite
Sarkozys Kritik an den Richtern klingt ähnlich. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Verurteilung Sarkozys Republikaner und Rechtspopulisten in gemeinsamer Kritik an der Funktionsweise des Rechtsstaates vereint. Doch sollten die Unterschiede in diesem Klima des Misstrauens und der Ablehnung nicht übersehen werden.
Sarkozy wurde von dem Verdacht der Bestechlichkeit freigesprochen. Ihm konnte nicht nachgewiesen werden, dass er sich persönlich bereicherte. Es lagen auch keine Beweise vor, dass er sich der illegalen Wahlkampffinanzierung schuldig machte. Ohnehin war die Beweislage dünn. In der mehr als 400 Seiten langen Urteilsbegründung werden die Absichten Sarkozys in den Vordergrund gestellt. Obwohl nicht nachgewiesen werden konnte, dass es zu Millionenzahlungen aus der libyschen Staatskasse zugunsten von Sarkozys Wahlkampf kam, wurde ihm zur Last gelegt, über enge Vertraute den Kontakt zu Mittelsmännern des libyschen Diktators Gaddafi gepflegt zu haben.
Der Fall Le Pen unterscheidet sich erheblich. Den Richtern liegen schriftliche Beweise über die Veruntreuung von EU-Steuergeldern in Millionenhöhe vor. Die Finanzströme konnten nachgewiesen werden.
In beiden Fällen machten die Richter von der Möglichkeit Gebrauch, die Urteilsvollstreckung nicht bis zur Entscheidung der nächsten Instanz auszusetzen. Auch dies ist bereits eine Folge des allgemeinen Vertrauensverlustes. Je geringer das Anstandsverständnis in der Politik ist, desto häufiger greift die Justiz zur größtmöglichen Sanktion.
Leider gibt es in Frankreich derzeit kein politisches Forum, in dem eine fachlich fundierte, besonnene Debatte darüber geführt werden kann, ob die Einschränkungen des Berufungsrechts nicht zu weit gehen. In der breiten Öffentlichkeit wird vor allem der Eindruck hängen bleiben, wie wenig vorbildlich sich das politische Establishment verhalten hat.
Schon die Verurteilung des todkranken ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac bildete einen Einschnitt. Der Fall Sarkozy schreibt sich in eine unrühmliche Serie ein, an deren Ende der Einzug der Rechtspopulisten in den Élysée-Palast stehen könnte.